Einige Gedanken zum Auswandern

Ohne Euphorie und die rosarote Brille geht gar nichts! Beide sind notwendig, um den geplanten Schritt zu wagen und die ersten Holpersteine, die einem immer in den Weg gelegt werden, zu überwinden. Es gibt im neuen Land so viel Neues, Unbekanntes und Unvorhergesehenes; Dinge, die man ohne eine ordentliche Portion Euphorie gar nicht bewältigen kann. Man erträgt im neuen Umfeld viele Dinge, wegen denen man die alte Heimat oft verlassen hat. Man redet sich schön, was unangenehm ist, weil die Entscheidung, die man getroffen hat, ja die richtige war! Aber das wird einem erst im Nachhinein klar. Darauf angesprochen, antworten viele Neuankömmlinge leicht pikiert: „Nein, wir sehen das alles ganz realistisch! Wir handeln überlegt, wir haben alles durchgeplant!“ Abwarten!

Man ist plötzlich umringt von guten, herzlichen Freunden, man fühlt sich willkommen und in seiner Entscheidung bestätigt.

Es herrscht Urlaubsstimmung! Vor allem bei Auswanderern, die ihre neue Heimat nur aus Büchern und Videos der sozialen Netzwerke kennen. Solche Menschen gibt es tatsächlich! Die ihre Heimat fluchtartig verlassen haben, weil ihnen die politischen und sozialen Gegebenheiten nicht mehr passen, im neuen Land aber kein Interesse daran haben, sich genau darüber zu informieren!

Es hat so jeder seine eigene Meinung und Vorstellung. Das ist auch gut so und jeder muss selbst wissen, auf was er sich da einlässt! Ich werde mich hüten, irgendwem Vorhaltungen zu machen und in den vergangenen sieben Jahren haben wir gelernt, nie ungefragt Ratschläge zu erteilen. Wir sind nur stille Beobachter.

Tatsache ist, und das ist in vielen statistischen Foren im Internet nachzulesen, dass nach drei bis fünf Jahren 80% aller Ausgewanderten wieder in der alten Heimat sitzen, oft völlig mittellos und tief frustriert. Nur einige wenige ziehen weiter und suchen ihr Glück in einem anderen Land. Öffentlich gemacht wird das natürlich nicht. Wer dokumentiert schon gerne sein Scheitern?

Ich befasse mich seit über zehn Jahren mit dem Thema „Auswanderung“. Weltweit, dem Internet sei Dank! Interessant finde ich weniger das Ankommen und Beginnen. Das läuft, auch wenn das kein Neuankömmling hören will, immer nach dem gleichen Muster ab. Und zwar weltweit. Ob jemand nach Neuseeland, Russland oder Brasilien auswandert, oder nach Uruguay, die allermeisten bewegen sich auf einer unsichtbaren, vorgegebenen Linie. Ganz unbewusst natürlich und jeder denkt für sich: „Ich mache es anders, ich mache es besser.“

Was mich viel mehr interessiert, ist das Durchhalten. Wie fühlt es sich an, wenn man über viele Jahre in einem anderen Land lebt? Sind die Gedanken und Gefühle, die mich beschäftigen, normal? Geht es nur mir so und was denken andere Menschen in anderen Ländern? Wie gehen andere mit Heimweh um, haben sie überhaupt welches? Genügt ihnen das neue Land oder fehlt einem doch nach einiger Zeit das von früher Gewohnte? Sei es das Essen, das kulturelle Angebot oder Familie und Freunde? Hier ist die Informationsdichte im Internet viel, viel spärlicher. Der Neubeginn wird oft in Videos dokumentiert, irgendwann lässt die Häufigkeit der Veröffentlichungen nach und nach spätestens drei Jahren bricht das völlig ab. Was machen die Leute, wenn das Land gerodet, das Haus gebaut und der Garten angelegt ist? Mit was beschäftigen sich die Menschen in der neuen Heimat? Wie sieht ihr Alltag aus? Was von ihren Vorstellungen konnte realisiert werden, was ist schief gelaufen, was hat geklappt? Sind sie integriert oder fühlen sie sich immer noch fremd? Haben sie Kontakt zu Einheimischen, oder umgeben sie sich mit Menschen der eigenen Muttersprache? Wie hat das Erlernen der Fremdsprache geklappt? Oder brauchen sie auch nach Jahren noch in bestimmten Situationen einen Dolmetscher? Hielt der Neuanfang die Partnerschaft aus? Viele schweißt es zusammen, noch mehr Ehen und Partnerschaften scheitern an den Herausforderungen. Fragen über Fragen, die einem eigentlich niemand so ganz richtig und ehrlich beantworten will. Darüber herrscht nicht nur im Internet großes Schweigen. Auch wenn man die Menschen direkt anspricht, wird oft recht schnell das Thema gewechselt oder man verliert sich in abgestumpften Phrasen wie: „Wir wollen Land und Leute kennenlernen und/ oder wir sind Selbstversorger.“ Fragt man dann nach und will es genauer wissen: „Wo wart ihr denn schon, was habt ihr euch angesehen, wo hat es euch gefallen, wo nicht?“ bekommt man, wenn überhaupt, einige Orte aus einem Reiseführer genannt. Der Rest bleibt Geheimnis!

Warum eigentlich? Warum behält jeder sein Wissen, seine Erfahrungen für sich? Warum kann man sich nicht austauschen, informieren, warnen? Warum muss jeder Neuankömmling in die gleichen Fallen tappen wie Hunderte seiner Vorgänger? Warum gibt niemand preis, mit welchem Ungeziefer er in seinem Beet zu kämpfen hat, welche Pflanzen gut wachsen, welche nicht? Welche Probleme einem die inländische Bürokratie bereitet und wo man sich im Fall der Fälle medizinisch behandeln lassen kann!

Es gibt auch hier in Uruguay ganz, ganz wenige Menschen, mit denen man sich ehrlich austauschen kann. Wir haben oft das Gefühl, der eine gönnt dem anderen die Butter auf dem Brot nicht! Solange man frisch im Land ist, vermehrt sich der Freundeskreis wie ein Virus, jeder will am Neuankömmling verdienen. Versiegt der Geldfluss oder die Bereitschaft dazu, löst sich auch der Großteil der Freundschaften auf wie Nebel in der Sonne.

5 Gedanken zu “Einige Gedanken zum Auswandern

  1. Hallo,

    vielen Dank für die tollen Beiträge. Wir waren die letzten drei Jahre jeweils gut drei bis vier Wochen in Uruguay. Inzwischen haben wir uns auch ein Grundstück in der Nähe von Pan de Azucar zugelegt und möchten dort 2028 bauen.

    Dazu hätte ich die Frage, ob Ihr ein gutes Bauunternehmen (Generalunternehmer) kennt, der verlässlich einem ein Haus bauen kann. Wir wären in 2028 vor Ort.

    Beste Grüße

    Reinhold

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    1. Hallo Reinhold,

      Es freut mich, dass Ihnen die Blogbeiträge gefallen. Sie enthalten mittlerweile 8 Jahre Leben in Uruguay und wir haben in der Zeit wirklich viel erlebt!!!
      Mit einem Bauunternehmen können wir leider nicht weiterhelfen. Wir hatten damals ein Grundstück mit Haus gekauft und nicht mehr viel geändert.
      In Uruguay braucht man zum Hausbau einen Architekten. Den sucht ihr am Besten vor Ort in der nächst größeren Stadt. Die haben in der Regel auch die Erfahrung mit den Handwerkern in der Umgebung.
      Pan de azúcar ist ja so gar nicht unsere Richtung. Wir wohnen 20 km von Tarariras und 70 km von Colonia del Sacramento entfernt.
      Wenn ihr während eines eurer nächsten Urlaube in die Gegend kommt, könnt ihr gerne auf einen Besuch vorbeikommen.
      Wir wünschen euch auf alle Fälle viel Spaß mit den Vorbereitungen zur Auswanderung. Die Vorfreude darauf haben wir auch noch in guter Erinnerung und die ersten Kisten habe ich zwei Jahre vor dem Stichtag gepackt!

      Ganz liebe Grüße aus Uruguay
      Steffen und Gabi

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      1. Hallo Gabi und Steffen,

        wir sind vom 9.1. bis zum 29.1. wieder in Uruguay. Falls wir es schaffen, kommen wir sehr gern vorbei. Vielen Dank für die schnelle Antwort von Euch und ein schönes Wochenende.

        LG

        Reinhold

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      2. Hallo Gabi und Steffen,

        Euren informativen blog haben wir die letzten Monate mit großem Interesse gelesen. Mal endlich Klartext bzgl. der Vor- und Nachteile eines Lebens in Uruguay.

        Wir sind vom 9.1. bis 12.1. 2025 in Montevideo und würden Euch gerne besuchen kommen. Wenn Ihr Lust und Zeit habt würden wir uns freuen, wenn Ihr uns Eure Adresse zumailt. Wir bringen gerne Kuchen und Kaffee mit.

        Wir können auch in der Woche danach, müssten dann jedoch von Pan de Azucar kommen.

        LG

        Nicole und Reinhold

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