Gustav und Brad Pitt

Gestern Abend wollten wir unseren fünf großen Lämmern die letzte Milchflasche geben und waren froh, dass die Fütterei endlich ein Ende hat.

Aber der Morgen hielt schon einige Überraschungen parat. Als wir die Schafe hinaus auf die Weide treiben wollten, bemerkten wir einen Neuzugang ! Ein putzmunteres schwarz/weißes Lämmchen sprang über die vom Raureif noch weiße Wiese.

Die frischgebackene Mutter blieb mit ihrem Kleinen im Nachtgehege, einen Tag, zur Beobachtung. Als alle anderen nach draußen verschwunden waren, entdeckte ich noch ein braunes Schaf, das nicht aufstehen wollte. Es war ein Lamm vom letzten Jahr, etwa 15 Monate alt. Morgendliche Anlaufschwierigkeiten haben wir, gerade jetzt in der Kälte, öfter. Nach gutem Zureden stehen die meisten dann auf und trotten der Herde hinterher. Das braune Schaf erhob sich dann auch mühevoll und dann sah ich die Bescherung: die Fruchtblase war sichtbar, also die Geburt in vollem Gange. Obwohl es aufgrund des geringen Alters fast nicht möglich war, mussten wir uns der Tatsache stellen, dass das Schaf, fast selbst noch ein Lamm, in den nächsten Stunden Mutter werden würde. Wir ließen der Natur ihren Lauf, sie blieb aber ebenfalls im Nachtgehege und wir fuhren erst mal zum Einkaufen.

Nach drei Stunden waren wir wieder zurück. Unsere Braune graste in aller Seelenruhe, von Wehen oder Lamm keine Spur. Wir befürchteten eine Totgeburt und suchten das ganze Gehege ab, aber wir fanden nichts. Wir sperrten sie daraufhin in einen kleinen corral, damit wir sie unter Kontrolle hatten. Die Fruchtblase war heute morgen sichtbar, inzwischen geplatzt und wenn nirgends ein Lamm zu finden war, musste es noch im Bauch stecken. Ohne Wehen kein glücklicher Zustand. Also hieß es weiter abwarten.

Am Nachmittag, bei einem weiteren Kontrollgang, lag das Schaf dann auf der Seite, streckte alle Viere von sich und rührte sich nicht mehr. Etwa einen Meter daneben schrie ein Lämmchen ganz fürchterlich und beschwerte sich, dass sich niemand kümmerte. Nass und klebrig lag es im Dreck. Die Mutter lebte und stellte sich tot. Sie war wohl vom Geburtsschmerz so entsetzt gewesen, dass sie dachte, das ist das Ende. Sie war völlig überfordert mit der ganzen Situation, dass sie vor ihrem Lamm floh, als ich es ihr bringen wollte. Es ist, als ob ein zehnjähriges Menschenmädchen plötzlich Wehen bekommt und von einer Schwangerschaft nicht das geringste geahnt hatte.

Ich bot ihr das Lamm noch zwei mal an, dann gab ich es auf und nahm das dreckige Bündel mit ins Haus. Nach einem ausgiebigen warmen Bad im Waschbecken erwachten die Lebensgeister von dem kleinen Kerlchen. Er trank gierig die Milch mit Traubenzucker aus der Flasche, bekam eine Windel verpasst und kuschelte sich in die weiche Decke im Waschkorb.

Eine Stunde später bekamen dann unsere Großen tatsächlich ihre letzte Flasche. Der Nachfolger, wir nennen ihn Gustav, sitzt schon parat.

Heute morgen dann die nächste Überraschung: die gesamte Herde war schon auf der Weide und ich gerade dabei, das Gatter zu schließen, als ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung bemerkte, dazu einen weißen Fleck im grünen Gestrüpp. Ich ging hin, um mir das Merkwürdige aus der Nähe zu betrachten. Und da saß er dann, schön ordentlich abgeleckt, trocken und sauber, als ob er auf den Schulbus wartet : Brad Pitt . Ein Zicklein? Wo kam das her ? Die waren doch alle an mir vorbei auf die Weide gesprungen ! Nein, es war ein Lamm, schon einige Stunden alt, vom Aussehen her ähnelt es wirklich einer kleinen Ziege: Schlappohren, kurzer Hals und Knautschgesicht. Mit großen dunklen Augen sah es mich an, als wolle es fragen : „bist du meine Mama?“

Ja, wo war die eigentlich ? Weg! Kaum zu glauben! Da hatte ein Schaf heute Nacht ein Lamm zur Welt gebracht, es ordentlich versorgt und dann einfach liegen lassen, um mit der Herde zum Grasen auf die Weide zu gehen. Und das Lamm saß in einer Seelenruhe da, beobachtete die Welt und wartete erst einmal ab. Ich nahm es hoch und gemeinsam suchten wir auf der Nachtweide nach der Mama. Vielleicht war die ja doch noch in der Nähe. Fehlanzeige ! Wir fanden noch ein Schaf, das gerade Mutter geworden war und ihren Nachwuchs ableckte. Sie reagierte auf das „mäh“ meines Lammes überhaupt nicht. Das konnte also nicht die Mutter sein. Die hatte sich doch tatsächlich aus dem Staub gemacht. Unmöglich, die heute Abend aus der Herde wiederzufinden.

Und Schwuppdiwupp hatte ich ein zweites neues Flaschenkind. Brad Pitt heißt er, weil er unserem ehemaligen Ziegenbock fast wie aus dem Gesicht geschnitten ist.

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