Kulturelle Unterschiede

Uruguay ist das europäischste der südamerikanischen Länder. Man darf sich allerdings nicht darüber weg täuschen lassen, daß es eben nicht Europa ist. Und Europa ist ja auch keine homogene Einheit. Die Italiener sind von ihrer ganzen Art und Einstellung so ganz anders, als es zum Beispiel die Schweden und Norweger sind. Und alleine in Deutschland gibt es gewisse Unterschiede zwischen den Bayern und den Menschen aus SchleswigHolstein. Andere Länder, andere Sitten, so hieß es früher und beschrieb die unglaubliche Vielfalt an Kultur und Denkweise der einzelnen Individuen. Manche Sitten und Gebräuche kann man verstehen und nachvollziehen, andere eben nicht .

Wer das erste Mal Uruguay während eines Urlaubs bereist, gewinnt oft den Eindruck : das ist ja alles sehr europäisch, fast schon deutsch. Eben so, wie man es von zu Hause gewohnt ist. Auf den ersten Blick Ja ! Die Gesetze sind in vielen Teilen den deutschen sehr ähnlich, wenn nicht sogar identisch. Die Verkehrsschilder sehen fast  so aus, wie man es von Deutschland gewohnt ist. Die Architektur vereint halb Europa. Die Menschen ähneln denen aus Mitteleuropa, mit nur wenigen Ausnahmen, im Aussehen und ihrer Art, sich zu bewegen, zu kleiden und zu benehmen.

Ist man etwas länger im Land und, das ist das allerwichtigste, kommt man mit den Einheimischen in regen Kontakt, ändert sich der erste Eindruck allerdings sehr schnell. Das ist keine negative Empfindung, sondern einfach die Einsicht, daß die Menschen hier doch ganz anders ticken, als wir es von Deutschland gewohnt sind. Der Ehrgeiz, es zu etwas zu bringen, ist den meisten hier völlig fremd. Für die Mehrheit reicht es völlig aus, die nächste Woche gut über die Runden zu kommen, weitergehende Pläne werden in der Regel nicht gemacht. Das Hier und Jetzt zählt, eventuell noch das Morgen. Wer weiß schon, was in einem halben Jahr passiert ? Statussymbole sind Land und Tiere, wobei Tiere mehr zählen. Hauptsache, es steht eine Kuh im Garten, eventuell noch einpaar Pferde. Wie man die dann satt bekommt, darüber macht man sich Gedanken, wenn es soweit ist. Das ist spätestens im nächsten Sommer und Winter der Fall. Im Sommer, weil alles staubtrocken ist, im Winter, weil alles sehr langsam wächst. In schönster Regelmäßigkeit geht zwei Mal im Jahr das Futter aus.

Bis vor einiger Zeit hielt sich die Mehrheit der Landbevölkerung mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Man arbeitete, wenn sich etwas ergab und wenn man Geld brauchte. Das will die jetzige Regierung nun ändern. Jeder, der arbeitet, muß angemeldet und sozialversichert  werden. Das hört sich in der Theorie auch ganz schön an, in der Praxis lässt es sich leider schlecht umsetzen. Auf einem Campo, einer Estanzia gibt es nicht immer gleichviel zu tun. Manchmal passiert Wochen/ oder Monatelang gar nichts. Die Tiere grasen friedlich auf der Weide. Drei Mal im Jahr bekommen sie ihre Medikamente oder müssen, wie die Schafe, geschoren werden. Dann fällt für einige Tage viel Arbeit an, bei der man viele helfende Hände benötigt. Kein Bauer wird für diese wenigen Tage unzählige Angestellte das ganze Jahr über beschäftigen. Dafür gab es die Gelegenheitsarbeiter, die kamen, wenn man sie brauchte. Für den Rest der Zeit genügt ein Vorarbeiter und allenfalls noch ein Peon, ein einfacher Arbeiter fürs Grobe. Die gutgemeinte Sozialpolitik für die arbeitende Bevölkerung bringt die Landbesitzer nun in organisatorische Schwierigkeiten. Für die Angestellten hingegen bedeutet das, daß sie kaum noch Arbeit finden, weil sie keiner mehr einstellt. Wegen einigen Tagen tut sich niemand den ganzen Papierkram an.

Viele der Gelegenheitsarbeiter haben kein richtiges Zuhause. Sie reisen mit Sack und  Pack von Campo zu Campo, wohnen dort einige Zeit, und ziehen dann weiter. Irgendwo sitzt eine Frau mit den Kindern, und wartet auf finanzielle Unterstützung.

Bei unserem Anderson lief es ähnlich. Er zog von Campo zu Campo, schlug dort das Holz, sein Kompagnon holte es mit dem Lastwagen ab und von dem geteilten Erlös lies es sich ganz gut leben. Vor Weihnachten brauchte er Geld, er wollte über den Feiertag zu seiner Familie fahren, und arbeitete wie ein Irrer drei volle Wochen lang von morgens bis abends auf unserem Land. Wir haben ihn für einen Tag die Woche angemeldet, um den Gesetzen zu entsprechen. Diesen einen Tag sollte er für uns arbeiten, die restlichen sechs Tage konnte er auf eigene Rechnung sein Brennholz machen. So der Plan. Nun gibt es auch in Uruguay einen Mindestlohn, den wir ihm selbstverständlich zahlten. Dummerweise bekam er dadurch an einem Tag mehr, als er sonst die ganze Woche mit Holzsägen verdienen konnte.

Mittlerweile war er bei uns in den Galpon eingezogen und schlief und wohnte dort auf seiner Matratze und seinen wenigen Habseligkeiten. Ursprünglich sollte er ja auf unserem Land campen. Aber einmal war es zu naß, weil es regnete, ein andermal waren zu viele Schlangen unterwegs und überhaupt schleicht da ein Jaguar durchs Gestrüpp, vor dem er berechtigter Weise Angst hatte. Also boten wir ihm Obdach im Galpon. Er war den ganzen Tag weg und in der Nacht störte er ja nicht. Dann kam der Mindestlohn und für ihn begannen herrliche Zeiten. Einmal die Woche arbeiten, sechs Tage im Stuhl im Schatten sitzend den Sommer genießen. Ausgaben hatte er ja keine. Er wohnte kostenlos, der Strom kam aus der Steckdose, Wasser gab es frisch aus dem Brunnen, Eiswürfel und heißes Wasser für Mate-Tee gratis vom Arbeitgeber, und die wenigen Lebensmittel, die er brauchte, brachte sein Kollege mit, der praktischer Weise neben einer Tankstelle wohnt.

Wir fühlten uns zusehends eingeschränkt und unwohl. Wollte ich am Morgen in den Galpon, bevor ich mich um die Tiere kümmere, schlief unser Anderson noch den Schlaf des Gerechten. Tagsüber, während ich im Park meiner Arbeit nachging, saß er im Schatten unter einem Baum, am Abend, wenn wir endlich Feierabend hatten, saß Anderson gemütlich am Lagerfeuer und brutzelte sein Essen. Immer ein freundliches Wort auf den Lippen, ging er uns mit der Zeit auf die Nerven. Er war immer präsent, war immer in der Nähe, Privatsphäre ade!!

Wir kamen auf die Idee, ihn umzusiedeln, wollten auf dem anderen Acker, 15 km entfernt, eine einfache Hütte für ihn bauen. Dort konnte er wohnen, und wir hätten unsere Ruhe. Aufgrund der sehr hohen Temperaturen in den letzten Wochen, sie erreichten oft über 37 Grad, beschlossen die Männer, morgens bei Sonnenaufgang um kurz nach 5 Uhr mit der Arbeit zu beginnen. Zu Dritt standen wir pünktlich bereit, Anderson musste aus dem Tiefschlaf geweckt werden. Er hatte es mit der Ausquartierung nicht so eilig. 5 Sterne all-in-clusive Versorgung war ja dann nicht mehr gewährleistet. Als er dann Anfang der Woche noch mitten in der Nacht zwei Hunde mitbrachte, was ihm Steffen schon vor Wochen ausdrücklich verboten hatte, zogen wir endlich die Reißleine und beendeten das Experiment. Anderson fiel aus allen Wolken und verstand überhaupt nicht, was er denn falsch gemacht haben könnte. Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und noch so einige andere Dinge waren ihm  nicht begreiflich zu machen. Für ihn war acht Wochen lang die Welt in Ordnung, und so zog er dann doch etwas enttäuscht mit seinen Habseligkeiten davon. Wir versuchten ihm zu erklären, daß, wenn er sich in der neuen Zeit behaupten und überleben will, lernen muß, Regeln einzuhalten und sich unterzuordnen. Wenn er Geld von einem Patron bekommt, er sich dessen Anweisungen fügen muß. Alles gutgemeinte Ratschläge, die wie Wassertropfen an einer Lotusblüte abperlten.

Auch in Uruguay ändern sich die Zeiten, die moderne Welt hält auch hier Einzug. Die einstige Gaucho-Romantik wird zurück gedrängt. Das Pferd ist schon lange kein Fortbewegungsmittel mehr. Zum 15. Geburtstag wünscht sich der Jugendliche ein Mofa. Ein Handy hat er schon viel früher im Gebrauch. Montevideo ist regelmäßig zugeparkt. Kaum eine Familie, die kein Auto hat. Für so eine Flut an Automobilen ist die Stadt einfach nicht ausgelegt und versinkt im Verkehrschaos. Waren aus dem Ausland überfluten den Markt, da können sie noch so hoch mit Einfuhrzöllen belegt werden. Die Jugend trinkt Coca-Cola, Mate-Tee verkommt zur Folklore. Segen und Fluch einer sich wandelnden Zeit. Wer sich da nicht anpasst, bleibt auf der Strecke.

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