Im Einklang mit der Natur

Ich tue mich immer schwer mit diesem Satz. Leben wir im Einklang mit der Natur? Eher nicht. Es ist vielmehr ein täglicher Spagat. Auf der einen Seite will man die Natur ja nicht schädigen, auf der anderen Seite möchte man für sich selbst das Beste rausholen. Das geht nicht immer ohne Blessuren ab, mal für die eine, mal für die andere Partei.

Zuallererst einmal braucht der Mensch die Natur. Das ist überlebenswichtig. Aber die Natur braucht den Menschen nicht.

Wo der Mensch nicht ist, wächst alles munter drunter und drüber. Das fängt beim Rasen ums Haus an, bis hin zu Urwäldern, die nicht gesäubert und ausgelichtet werden. Das, was wir zum Beispiel in Deutschland als Wald kennen, ist eine mit viel Arbeit verbundene künstliche Welt. Was passiert, wenn Förster und Waldarbeiter nicht ihrer Arbeit nachgehen? Über die Jahre wächst alles zu, Totholz wird von Ungeziefer zerkleinert. Der Borkenkäfer stört die Natur nicht. Es wächst halt anders, wie wir uns das als Menschen vorstellen. Das kann man sehr schön im Schwarzwald bestaunen, wo Landstriche nach dem Orkan Lothar an Weihnachten 1999 einfach sich selbst überlassen wurden. Das sieht dort so gar nicht nach dem idyllischen Schwarzwald aus.

Bevor wir nach Uruguay kamen, bestand auch in unserer Vorstellung ein Baum aus einem schönen Stamm und einer Krone. Weil man es überall so sieht, wird es als Realität genommen. So ein Baum ist ein Kunstwerk. Denn wenn er nicht regelmäßig ausgeschnitten wird, wächst er munter so, wie die Natur es sich halt vorstellt. Aus dem Stamm wachsen Äste in alle Richtungen und die Ausläufer der Krone berühren den Boden. Uns war nicht bewusst, wieviel Arbeit es macht, dass so ein Baum so aussieht, wie ein Baum in unserer Vorstellung eben auszusehen hat. Viele Obstbäume sind darauf hin gezüchtet. Aber das hat mit einem natürlichen Baum nichts zu tun.

Deshalb ist Säubern auch eine unserer Hauptaufgaben auf dem Campo. Dabei helfen uns die Schafe, Ziegen und Esel. Wie in der Natur auch Rehe und Hirsche ihre eigene Ordnung schaffen. Wildverbiss nennt das der Mensch dann.

Die Natur holt sich alles zurück, wenn wir nicht schnell genug sind. Rabatte und Beete wachsen mit Unkraut zu. Was interessiert die Natur, welches Gemüse oder Salat wir gepflanzt haben. Das meiste ist hier eh nicht heimisch. Weg damit! Damit die natürliche Ordnung aufrechterhalten wird, hat Mutter Natur eifrige Helferlein! Ameisen, Heuschrecken und hunderttausend andere Insekten. Die Natur ist in dieser Hinsicht sehr einfallsreich. Und wir kämpfen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen! Die Alternativen wären wegziehen oder im Wildwuchs leben. Beides keine schönen Optionen.

Wenn die Schafe die Weiden nicht kurz halten, ist binnen Jahresfrist dort kein Durchkommen mehr. In heißen, trockenen Sommern wächst dadurch die Brandgefahr. Die Natur stört das wenig, das meiste wächst wieder nach irgendwann. Uns würde das ganz gewaltig stören, im Feuer unser Hab und Gut zu verlieren.

Wir werden oft gefragt, warum wir unsere Lämmer mit der Flasche groß ziehen und nicht „der Natur ihren Lauf“ lassen. Warum ein Lamm zum Flaschenlamm wird, hab ich schon in vielen Beiträgen erzählt, das muss hier nicht wiederholt werden. Aber der Natur ihren Lauf lassen würde bedeuten, dass wir die hilflosen Lämmer auf der Weide liegen lassen. Die Natur würde sich in Form von Raubtieren drum kümmern und binnen weniger Stunden würde von dem Tierchen nichts mehr da sein, so, als wäre es nie da gewesen.

Die meisten Lämmer sind nicht tot, wenn sie gefressen werden.Ich habe oft genug zusehen müssen. Auch ein Kalb werde ich mein Lebtag nicht vergessen, das mit der Hälfte des Körpers noch im Mutterleib steckte und während die Mutter mit den Presswehen beschäftigt war, von Raubvögeln zerhackt wurde. Auch das ist „Natur“ ! In der Savanne in Afrika passiert das auch täglich! Aber bitte ohne mich! Wenn ich so etwas verhindern kann, werde ich es tun! Da hat meine Naturliebe Grenzen!

Ganz abgesehen davon, dass wir natürlich auch die Verantwortung für unsere Schafe haben. Diese Tiere sind mittlerweile nicht mehr „natürlich“, sondern seit Jahrtausenden auf den Menschen angewiesen. Die kann man nicht einfach der Natur überlassen, da würden sie unweigerlich zu Grunde gehen und mit der Zeit aussterben.

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