Nummern ziehen und Schlange stehen

Wenn man in Uruguay ein Geschäft betritt, gilt der erste Blick immer der Suche nach dem Nummernkasten. Ob man eine Bank betritt, in der Wechselstube sein Geld tauschen will, im Baustoffhandel Material benötigt oder im Supermarkt Fleisch, Wurst oder Käse kaufen möchte: immer muss eine Nummer gezogen werden, die dann die Reihenfolge der Kunden bestimmt.

Wir haben uns mittlerweile an dieses Procedere gewöhnt und greifen ganz automatisch nach dem kleinen Zettelchen mit der Nummer drauf. Für Touristen, vor allem für diejenigen, die der spanischen Sprache nicht mächtig sind, kann das mitunter ziemlich schwierig werden, weil die Nummern von den Verkäufern aufgerufen und nicht etwa auf einer Bildtafel angezeigt werden. Dieses Glück hat man allenfalls in Behörden, wo durch die entsprechende Geräuschkulisse kaum ein Wort zu verstehen ist, weil der Andrang einfach größer ist. Ein Schwätzchen mit der Kundin neben sich verbietet sich also, jeder hat ein Ohr auf die Nummern.

Wir hatten von Anfang an den Eindruck, der Uruguayer wartet gerne und hat eine unerschöpfliche Menge an Geduld. In der Bank oder der Behörde beweglos auf dem Stuhl sitzen und Löcher in die Luft starren, gehört da noch zu den einfachsten Übungen. In der Bank sind Handys verboten, man kann sich die Wartezeit also nicht mit irgendwelchen Spielchen auf dem Display verkürzen. Das Dasitzen wird schon den kleinen Kindern beigebracht. Die können tatsächlich lange Zeit auf einem Stuhl sitzen bleiben, ohne zu quengeln oder rumzuhampeln! Unglaublich, wenn man das nicht selbst erlebt hat!

Die ersten Monate in Uruguay hatten wir viele Behördengänge zu erledigen und wenn man aus dem stressigen und umtriebigen Deutschland kommt, steht man ständig unter Strom! Zackzack, mach hinne, komm in die Puschen oder wirds bald; überall in Deutschland hat man so seine eigene Ausdrucksweise, um schnellstmöglich voran zu kommen. Wenn man dermaßen gepolt ist, kommt man sich in Uruguay vor wie auf einem anderen Planeten! Vor allem muss man umdenken, um nicht irgendwann irre zu werden! In Uruguay hat man immer Zeit. Es scheint, die angenehmste Freizeitbeschäftigung ist Warten, irgendwo rumstehen oder rumsitzen, völlig regungslos, das spart Energie!!

Die ersten Wochen war unser Blutdruck sehr gefordert! Bei uns musste auch immer alles schnell gehen, Zackzack eben, wir liefen früher im Laufschritt durchs Leben, immer die Zeit im Nacken! In Uruguay wurden wir von 100 auf Null ausgebremst. Das ging nicht von heute auf morgen. Unsere Zeit- und Arbeitspläne waren für den Müll, in Uruguay ticken die Uhren anders, langsam eben. Nicht heute, nicht gleich und sofort, mañana. Vielleicht! Auch nach über sechs Jahren kann uns diese Mentalität manchmal noch auf die Nerven gehen, obwohl wir es mittlerweile ja meistens schon einplanen. Wir warten auch! Nicht gerne, aber mittlerweile etwas entspannter als früher.

Hinterlasse einen Kommentar