Kühe sind das Lebenselixier Uruguay‘s.
Ohne Kuh geht gar nicht‘s! Man ist nur wer, wenn man Kühe sein Eigen nennt. Schafbesitzer stehen mindestens eine Stufe darunter, in der Hierarchie der Landbevölkerung. Und aus diesem Grunde ist hier draußen auf dem Land jeder bemüht, sich nur irgendwie eine Kuh zu halten. Dabei sind die Hürden des uruguayischen Landwirschaftsministeriums auch für Einheimische nicht gerade niedrig; für Ausländer dagegen fast unmöglich oder immerhin so nervenaufreibend und kompliziert, dass jeder der Zugezogenen nach einigen Jahren, wenn er es denn solange aushält, das Handtuch wirft. Das liegt zum Einen an der Bürokratie, zum Anderen an der einheimischen Bevölkerung, die es seit ungefähr 200 Jahren gewohnt ist, an und mit den Ausländern Geld zu verdienen. Wir leben nun seit über vier Jahren hier und haben in der Zeit einige Einwanderer kennengelernt. Früher oder später hatte jeder von ihnen Kühe im Besitz und genauso sicher haben sie nach geraumer Zeit entnervt aufgegeben. Wir sind da nicht ausgenommen und haben ebenfalls unsere Kuherfahrungen gemacht! Das wird jedem Neuling mit der Inbrunst der Überzeugung klar gemacht: ihr braucht unbedingt Kühe !!!
Der Gaucho ist ein Schlitzohr und hat über Generationen hinweg seine Überlebensstrategie entwickelt. Mittlerweile sind die meisten von ihnen bei ihrem Arbeitgeber fest angestellt und sozialversichert. Besitz haben sie keinen, das haben sie nie gelernt. Sie wohnen meist auf den Grundstücken ihrer Arbeitgeber und dürfen auf deren Weiden eigene Tiere halten. Alles völlig selbstverständlich und kostenlos, zusätzlich zum Verdienst. Der Verdienst verschwindet fast vollständig spätestens nach der zweiten Frau und dem dritten Kind. Der Mann ist hier in vollem Umfang unterhaltspflichtig, bis er nichts mehr hat.
Die Angestellten leben also auf den Grundstücken der Arbeitgeber, oft mit der ganzen Familie. Eigene Tiere werden mit dazu gestellt und man muss höllisch aufpassen, dass nicht so nach und nach die Kühe der anderen Familienmitglieder dazu gestellt werden. Letztendlich haftet der Grundstückseigentümer für alle Tiere und werden Gesetze nicht beachtet, sind die Strafen horrend. Zu zahlen natürlich nur vom Chef. Und mit Kontrollen muss man jederzeit rechnen.
Zusätzliches Futter kommt, kostenlos, vom Arbeitgeber. Müssen die Tiere in eine Umzäunung, stellt der Arbeitgeber selbstverständlich das Material zur Verfügung. Die Installationen werden während der Arbeitszeit erledigt. Wenn sich der Angestellte um seine eigenen Tiere kümmert, dann natürlich auch während der Arbeitszeit. Das lässt sich irgendwann eh nicht mehr so ganz auseinander halten. Von den ungefähr 40 Arbeitsstunden, die der Angestellte wöchentlich für seinen Chef ableisten soll und für die er ja auch bezahlt wird, steht er, im günstigsten Fall, etwa 30 Stunden zur Verfügung. Alles Arbeitsmaterial, seien es Maschinen oder Werkzeuge, stellt der Arbeitgeber und der Angestellte darf es nutzen, als sei es sein eigenes. Geht irgendwas kaputt und muß repariert werden, natürlich nur auf Kosten des Chefs. Dementsprechend wird mit allem ziemlich sorglos umgegangen. Ein einheimischer Chef mag das alles tolerieren, als zugezogener Europäer tut man sich da allerdings sehr schwer!
Als Daniel noch Vollzeit bei uns angestellt war, bekamen auch wir das ganze Programm zu spüren. Bei Regen wird grundsätzlich nicht gearbeitet. Da wird auch nichts nachgearbeitet. Ist eines der Kinder krank und muß zum Arzt, das gleiche Spiel. Da kommt man nicht etwa einige Stunden später; nein, man bleibt gleich mehrere Tage zu Hause. Sucht der Bruder mal wieder seine Kühe, lässt man beim Arbeitgeber alles stehen und liegen und verschwindet, oft ohne auch nur Bescheid zu sagen. Das Handy ist ständig am Ohr und behindert natürlich oft die Arbeit.
Das muss man aushalten als Ausländer, und das wird auch erwartet. Irgendwann kamen aber auch wir an einen Punkt, an dem wir die Reißleine zogen. Unsere Vorstellungen von einem Angestelltenverhältnis haben wir für uns behalten. Diskussionen bringen nichts. Dabei muss man natürlich immer in Betracht ziehen, dass wir hier die Zugereisten sind und die hiesigen Gepflogenheiten zu achten haben, ob uns das nun gefällt oder nicht. Das Zusammenleben der Arbeitgeber und ihrer Angestellten hat sich über Generationen entwickelt. Der Patron ist nicht nur Chef, er trägt auch eine Verantwortung für das Wohlergehen des Angestellten, die, in Deutschland z.B. , der Staat übernommen hat. Wenn der Patron seinem Peón keine Unterkunft zur Verfügung stellt, hat er keine. Draußen auf dem Land gibt es keine Mietwohnungen. Und wenn auch der ein oder andere Peón die Fürsorge seines Patrons aufs Äußerste ausnutzt, funktioniert doch das Miteinander recht gut, weil sie letztendlich alle aufeinander angewiesen sind.
Daniel wohnt mit seiner Familie mietfrei in unserem Haus, bekommt von uns ein Auto zur Verfügung gestellt und arbeitet einen Tag pro Woche für uns. Dafür ist er im Notfall immer rufbereit, sei es, wenn wir einen Platten in der Pampa haben und der Wagenheber zerbrochen ist, oder schnell irgendwelche Reparaturen zu erledigen sind. Durch ihn sind wir gezwungen, uns mit der hiesigen Sprache auseinander zu setzen und haben natürlich auch Kontakt zu anderen Einheimischen, was die Integration erheblich vereinfacht. Wir sind der Meinung, solange das Gesamtpaket stimmt, können wir mit einigen Unstimmigkeiten gut leben. Aber die Einsicht kommt natürlich nicht über Nacht. „Das Leben ist eine teure Universität“. Erfahrungen zu machen kostet Nerven, Zeit und oft auch Geld !
Andere Länder, andere Sitten !