Unsere „Prinzessin“ kam vor zwei Jahren in einer eiskalten Augustnacht zur Welt. Nur halb so groß wie ihr Zwillingsbruder hatte sie eigentlich keine Überlebenschance. Wir holten sie zu uns ins Haus und päppelten sie auf. Neben Wärme und guter Milch bekam sie auch ganz viel Liebe. Als sie nach drei Tagen immer noch lebte, hatten wir endlich Hoffnung, dass sie es übersteht.

Und tatsächlich: Neben Philipp, der zwei Wochen vor ihr zur Welt kam, und einem weiterem, war sie das dritte Lämmchen, das wir damals als Flaschenlämmer durchbrachten. Sie wohnten wochenlang mit uns im Haus und düsten, mit Windeln gut angezogen, durch die Zimmer. Später begleiteten sie uns draußen bei der Gartenarbeit und waren dabei, wenn wir mit dem Hund Gassi gingen. Monatelang wichen sie uns kaum von der Seite und sind bis heute sehr anhänglich. Prinzesschen bekam ihren Namen, nachdem wir sie anfangs noch Octavia nach ihrem Papa nannten, als sie anfing, Gras zu fressen. Dabei suchte sie sich bevorzugt die bunten Frühlingsblumen aus. Hier ein gelbes Blümchen, dort ein rosa Blümchen. So konnte sie stundenlang über die Wiese marschieten, immer auf der Suche nach den Blumen. Das fanden wir so süß, eben wie ein kleines Prinzesschen. Und dabei ist sie immer sehr mitteilsam und glaubt, sich mit uns unterhalten zu können. Wir haben viel mit ihr geredet und seitdem kommunizieren wir eigentlich täglich miteinander. Wir grüßen uns, wünschen einen guten Morgen oder gute Nacht und fragen immer, wie es ihr geht. Und sie antwortet jedes Mal, hat immer den Kopf hoch erhoben und alles unter Kontrolle. Während Philipp ein stiller Einzelgänger ist, der immer nur seine Ruhe haben will, steht Prinzessin meist in der ersten Reihe und genießt die Aufmerksamkeit.
Im letzten halben Jahr ist sie erwachsen geworden, wollte einige Zeit nicht allzu viel von uns wissen und behauptete ihren Platz in der Herde. Seit einigen Wochen scheint sie mit sich und der Welt im Reinen zu sein und erinnert sich wohl an die Spaziergänge von früher. Am späten Nachmittag steht sie am Gatter, wartet, bis wir mit der Arbeit fertig sind und will mit uns spazieren gehen. Energisch macht sie sich bemerkbar und lässt nicht locker, bis wir das Tor öffnen und sie heraus kann. Und dann marschieren wir zu dritt vor zum großen Tor an der Straße. Hoch erhobenen Kopfes stolziert die mit ihren zwei Menschen im Schlepptau über den Weg und geht danach ganz brav wieder zur Schafherde zurück.
Was mag in so einem Schafkopf wohl vor sich gehen ?